Normalität und Bedrängnis
Die Arbeit des Reisedienstes, welche selbst im Krieg nicht ganz aufhörte,
entfaltete sich neu. In den Gemeinden werden die Frauen- und Mütterdienste
besucht, Schulungen für deren ehrenamtlichen Leiterinnen gehalten. An vielen
Orten sind dies die Pfarrfrauen, die selbstverständlich und mit hohem Einsatz
die Frauenarbeit vor Ort tragen und gestalten.
Der Dienst der Reisereferentinnen ist von Entbehrungen und Erschwernissen
gekennzeichnet. Sie reisen mit Bibelarbeit, Kartoffeln und Brikett im Rucksack.
Nach Kriegsende werden sie möglichst bei Bauern untergebracht, da es dort
auch etwas zu essen gibt. Die Frauen reisen von Ort zu Ort, schlafen oft
in Notbetten und kehren nur in Abständen in ihre eigene Wohnung zurück.
1951 verstirbt Karl Aè. Pfarrer Dr. Gerhart Wendelin wird als Landespfarrer
berufen. In diesem Jahr kann in Dresden die ehemalige Götteschule erworben
und nach und nach durch Sachspenden aus dem Land als "Frauendienstheim" eingerichtet
werden. Dieses Haus an der Bautzener Straße wird vor allem für Bibellehrwochen
genutzt und nimmt die Kanzlei der Frauenarbeit auf. Die Frauenarbeit hat
wieder ein "eigenes Zuhause".
830 Bibelarbeiten und 515 Leiterinnenbesprechungen werden 1951 von den
Reisereferentinnen gehalten. Die Themen werden vor allem von Pfarrvikarin
Lina Scholz vorbereitet, welche auch die Pfarrfrauenarbeit begleitet. Unter
ihrer Leitung wird z.B. 1955 eine umfangreiche "Lebensordnung für
Pfarrfrauen in Sachsen" herausgegeben.
Das Rüstzeitangebot wurde um Müttererholungszeiten an verschiedenen Orten erweitert, für die ein großer Bedarf bestand. Das Hilfswerk der Inneren Mission finanzierte einige dieser Wochen vollständig. Hinzu kamen Erholungszeiten der Frauenarbeit, für die es so genannte "halbe Freiplätze" gab. Die Leitung lag vielfach in den Händen einer "Betreuungsmutter". Auch diesen Dienst übernahmen oft Pfarrfrauen.
Der Weltgebetstag fasste Fuß in Sachsen. Später kam die "Berufstätigenarbeit" hinzu. Neben Frauen- und Mütterdiensten wurden eigene Kreise für diese Frauen eingerichtet und Rüstzeiten angeboten.
Nach Synodenbeschluss wird der Frauenarbeit neben der Inneren Mission die kirchliche Eheberatung übertragen. Dafür wird Charlotte Schubert eingestellt. Sie reist durch das Land, führt Beratungsgespräche, hält Vorträge und organisiert die erste Tagung für Eheberatung bei der Inneren Mission Radebeul. Sie und weitere Mitarbeiterinnen der Frauenarbeit werden für diese Arbeit qualifiziert.
1953 kann nach zähen Verhandlungen mit den Behörden in Kipsdorf das Erholungsheim "Haus Barthol" erworben werden. Dort soll vorrangig die Müttererholung durchgeführt werden. In Erinnerung an Esther von Kirchbach, ihrer Verbundenheit mit dem Frauendienst und ihrem Engagement für die Mütter wird es in "Haus Esther" umbenannt.
Strukturell entwickelte sich die Arbeit in den 50er Jahren kontinuierlich.
Trotzdem waren gerade diese Jahre große Notzeiten. Die Sozialistische Einheitspartei
Deutschlands beschloss, den Aufbau des Sozialismus zu beschleunigen. Vor
allem der Einfluss der Kirchen auf Kinder und Jugendliche sollte unterbunden
werden. Die sozialistische Jugendweihe wurde eingeführt. Jugendweihe oder
Konfirmation? Werde ich meinem Kinde seine Zukunft verbauen? Diese Frage
trieb die Mütter um. Diejenigen, die ihre Kinder zur Jugendweihe anmeldeten,
wagten danach oft nicht mehr, den Frauenkreis zu besuchen. Viele Männer
traten aus der Kirche aus. In dieser Zeit wurde der Begriff "im Glauben
alleinstehend" geprägt.
Die Herausgabe von Schriften aller Art wie Andachten, Arbeitshilfen, Bibellehrwochenpläne
wurde erschwert, da es nur noch selten eine Druckgenehmigung gab. Die Texte
mussten mit der Schreibmaschine vervielfältigt werden. Papier, Büromaterialien,
aber auch Kleidung und Lebensmittel wurden der Frauenarbeit der Evangelischen
Kirche von Kurhessen-Waldeck zur Verfügung gestellt, zu dem bis heute eine
Partnerschaft besteht. 1957 wird Ilse Böhler als Landesleiterin berufen.
Bettina Dörfel, ehem. Landesleiterin der Kirchlichen Frauenarbeit (2004-2016)