Die siebziger Jahre – Emanzipation und Tradition
1970 verabschiedete die sächsische Landessynode das "Theologinnengesetz", welches einen großen Erfolg für die Frauen bedeutete. Auf Grund dieses Gesetzes wurde auch die seit 1959 bei der Frauenarbeit beschäftigte Pfarrvikarin Camilla Kube ordiniert. Dieses Ereignis wurde mit einem großen Fest gefeiert, auch, weil die Frauenarbeit sich schon lange für die Ordination engagiert hatte. Camilla Kube hat maßgeblich den Fernunterricht der Frauenarbeit "Lehrgang zu Bibel- und Glaubensfragen" konzipiert und ausgearbeitet, der ab 1970 stattfand und sich nicht ausschließlich an Frauen richtete. Er war gedacht zur persönlichen Weiterbildung und beinhaltete neben grundlegenden theologischen Informationen auch die eigenständige Vorbereitung einer Bibelarbeit und Gesprächsführung. Innerhalb von drei Jahren steigt die Zahl der laufenden Fernkurse von drei auf sieben.
Die schon länger laufende Suche nach verstärkter Zusammenarbeit mit der
Jugend- und Männerarbeit der Landeskirche mündet 1971 in die "Arbeitsgemeinschaft
für kirchliche Erwachsenenarbeit". In dieser Zeit wachsen die Haus-
und Gesprächskreise in den Gemeinden, die Berufstätigenkreise für Frauen
dagegen reduzieren sich.
Nach wie vor bleibt auch das Interesse an wissenschaftlich orientierten
Themen wach. 1972 tagt die Frauenarbeit beispielsweise unter dem Thema: "Der
Mensch im Licht der modernen Genetik" und "Christen im Jahrhundert
der Biologie". In der Mütterkreisarbeit bleiben Fragen nach der Erziehung
der Kinder und Gestaltung der Partnerschaft auf der Tagesordnung, werden
aber immer vom neuesten Kenntnisstand der Pädagogik, Psychologie und Soziologie
her beantwortet.
Gleichzeitig wurden in der Arbeit mit Frauen immer wieder emanzipatorisch
orientierte Themen zur Selbstfindung der Frauen angeboten, Selbstverwirklichung
und Selbstannahme wurden zu wichtigen Stichworten. Erste Einflüsse der
feministischen Theologie wurden spätestens spürbar ab der 1974 stattfindenden "Sexismuskonsultation" des
Ökumenischen Rates der Kirchen in Berlin. Deren Ergebnisse wurden sowohl
engagiert als auch kontrovers diskutiert.
1973 wurde Elfriede Wagner als Landesleiterin berufen. Schon lange stand
die Pfarrfrau und Naturwissenschaftlerin mit der Frauenarbeit in Verbindung
und stellte ihr Wissen zur Verfügung. Da sie nur verkürzt arbeiten wollte,
wurde die Leitung der Frauenarbeit neu strukturiert und in ein Leitungsteam
mit Landespfarrer, Landesleiterin und der nun ordinierten Pastorin umgewandelt.
Elfriede Wagner erhielt 1975 die Gelegenheit, als Delegierte an der Weltkirchenkonferenz
in Nairobi teilzunehmen. Davon berichtete sie in vielen Frauenkreisen und
im "Sonntag": "In Nairobi haben wir es erlebt, dass
Jesus uns dazu befreit, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen, auch
aus dem Blickwinkel der Armen und Unterdrückten dieser Welt. … Wir bedauerten,
dass bei der Ausspendung des Heiligen Mahles keine Frau beteiligt war –
obwohl wenige Tage vorher eine Plenarsitzung der Frau als gleichberechtigter
Mitgestalterin und Mitbewahrerin dieser Erde gewidmet war. […] Bewegender
Höhepunkt war für mich, dass wir am Schluss alle einander den Friedensgruß
weitergeben, jeder in seiner Sprache und nach seiner Tradition. Hier verneigt
man sich ehrerbietig voreinander, dort werden Hände geschüttelt, da umarmt
man sich. Diese zeichenhafte Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, wurde
beglückende Wirklichkeit in allem Ringen um gangbare Wege zur Bewältigung
der bedrohlichen Nöte dieser Welt. Trennungen und Konflikte wurden nicht
bagatellisiert, Meinungsverschiedenheiten in Offenheit ausgetragen."
(Der Sonntag Nr. 4/1976)
Es folgen weitere Leitungswechsel. Pastorin Camilla Schlaak geb. Kube
übernimmt 1976 die Leitung des Amalie-Sieveking-Hauses. Aber schon zu dieser
Zeit war das Wissen um die Ursprünge dieser Ausbildungsstätte und die Verbindung
zur Frauenarbeit verloren gegangen. Der Ruhestand von Pfarrer Garbe steht
bevor und löst eine Diskussion darüber aus, ob diese Stelle eventuell mit
einer Pfarrerin besetzt werden sollte. Dies ist für viele noch undenkbar.
Das Gegenüber eines Mannes zu den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen
wird als unverzichtbar eingeschätzt.
So wird 1976 Pfarrer Wolfgang Burkhardt als Landespfarrer berufen.
1979 werden auch die bis dahin als Pfarrvikarin beschäftigte Christine
Tunkel und die Theologin Evamaria Taut ordiniert. Letztere begann 1970
im Reisedienst, vollendete gleichzeitig ihr Theologiestudium undgehörte
ab 1977 dem Leitungsteam an. Sie wird 1983 als Leiterin des Amalie-Sieveking-Hauses
berufen. Im gleichen Jahr scheidet Elfriede Wagner aus dem Dienst aus und
Eva Engelmann aus dem Reisedienst wird als Landesleiterin berufen.
Bettina Dörfel, ehem. Landesleiterin der Kirchlichen Frauenarbeit (2004-2016)